Bis zum Jahr 2022 war die Zahl der Kirchenaustritte etwa um jährlich 8 Prozent angestiegen. Insgesamt stiegen damit in 10 Jahren die Austritte aus der evangelisch-reformierten Kirche auf knapp das Doppelte.
Während der ersten 8 Monate schien die Zahl der Austritte im Rahmen der Vorjahre zu liegen. Mitte September wurde dann aber die Studie der Universität Zürich zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche veröffentlicht.
Die Schweizer Bischofskonferenz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz hatten den Auftrag zur Untersuchung als Pilotstudie in Auftrag um die methodische Vorgehensweise für eine grösser angelegte Anschluss-Studie zu evaluieren. Es ging hier also nur römisch-katholischen Kirche. Dennoch schnellte überraschenderweise nicht nur bei der römisch-katholischen Kirche, sondern auch bei der evangelisch-reformierten Kirche in der Schweiz die Zahl der Kirchenaustritte in die Höhe. Als problematisch in dieser Hinsicht wird oft das Zölibat römisch-katholischen Kirche genannt, ein Faktor der bei der evangelisch-reformierten Kirche nicht existiert. Es gibt somit faktisch kaum Gründe, warum von der Studien-Veröffentlichung die evangelisch-reformierten Kirchgemeinden so stark betroffen waren durch Anstieg der Kirchenaustritte. Hier das aktualisierte Diagramm mit den Zahlen von 2023:
Vermutlich hat die starke Zunahme kirchlicher Themen in den Medien dazu geführt, dass sich auch bei den reformierten Kirchenmitgliedern frühere Gedanken an das Austreten aus der Kirche wieder geweckt wurden. Und weil im Zuge der Berichterstattung auch der Umfang der bereits erfolgten Kirchenaustritte thematisiert wurden, dürften etliche Personen erst jetzt von den stark gestiegenen Kirchenaustritten der letzten Jahre erfahren haben. Die Information über die schon zahlreich ausgetretenen anderen Personen könnte die Hemmschwelle für den Kirchenaustritt gesenkt haben.
Bei den dargestellten Austrittszahlen der evangelisch-reformierten Kirchgemeinden handelt es sich um die Daten der 7 Kantone mit den höchsten Austrittszahlen in absoluten Zahlen: Zürich, Aargau, St. Gallen, Bern, Thurgau, Baselland und Graubünden. Der Startpunkt 100 Prozent ist berechnet als Mittelwert der Jahre 2012 und 2013 und für die folgenden Jahre ist dann die relative Veränderung zu diesem Startpunkt dargestellt. Die grauen Linien der einzelnen Kantone haben zwar eine gewisse Streuung, aber die Kirchenaustritte folgen überall mehr oder weniger dem durchschnittlichen Austritts-Trend mit breiter Linie dargestellt.
Die stark erhöhte Zahl der Kirchenaustritte betraf hauptsächlich September und Oktober, gegen Beginn 2024 hin hatten sich die Austritte aus der Kirche schon wieder den Werten der Vorjahre angenähert. Es ist deshalb für 2024 ein starker Rückgang der Kirchenaustritte gegenüber 2023 zu erwarten, weil nur diese wenigen Wochen mit hochgeschnellten Austritten für die Extremsituation von 2023 führten. Wahrscheinlich kam es sogar zu einem gewissen "Vorhol-Effekt", so dass die Kirchenaustritts 2024 sogar die seit Jahren tiefsten Werte sein könnten.